Ostseestadion: Rostock
DFB Pokal
Zuschauer: 22400
Endlich stand für die Alte Dame das erste Pflichtspiel der Saison an. Sebastian Kehl hatte es bei der Auslosung gut gemeint und hatte uns Hansa Rostock als Gegner beschert. Ich habe noch nie ein Spiel gegen Hansa miterlebt und so war eine Mischung aus Vorfreude und Respekt in den Wochen vor dem Spiel zu spüren. Nun war er aber da der Spieltag und mit dem Fernbus ging es in die Hansestadt. Michi, der Busfahrer war begeisterter Hansa Fan und startete die Busfahrt mit einer leidenschaftlichen Rede. Ansonsten verlief aber alles bemerkenswert ruhig und am Rostocker Bahnhof waren weit und breit keine Späher zu sichten. So pegelte sich mein Kreislauf auf Normalniveau ein und wir spazierten durch die wirklich sehr sehenswerte Altstadt in Rostock. Wir hatten unsere Unterkunft strategisch gebucht und so trennten mich nur circa 1,5 Kilometer vom Ostseestadion.
Als ich losstiefelte, war von der Verträumtheit vom Nachmittag nur noch wenig zu spüren und an stattdessen dröhnten zwei Hubschrauber permanent über meinem Kopf. Den Pullover bis oben hin zugezogen lief ich betont lässig hinter den Rostockern her in Richtung Stadion. Dann hieß es eine 50/50 Entscheidung zu treffen, in welche Richtung ich das Stadion umrunden sollte. Ich traf die falsche Entscheidung uns so musste ich mit mittlerweile stark pochendem Herzen an finsteren Gestalten vorbei und mir nichts anmerken lassen. Irgendwie schaffte ich es aber auch am Block der Heimszene vorbei, die anscheinend schon zum Großteil im Stadion war. Vorbei ging es dann an vier Wasserwerfern und durch zwei „Checkpoints“ wurde ich von einem Polizisten höchstpersönlich zum Gästeeingang gebracht. Dort war der Zugfahrermob bereits eingetroffen und so reihte ich mich in die sehr lange Schlange am Eingang ein. Es waren lediglich drei Eingänge geöffnet und kaum mehr als eine Handvoll Ordner am Kontrollieren.
Wir warteten vor dem Block und betraten diesen geschlossen circa eine halbe Stunde vor Spielbeginn. Die Konstellation in Rostock ist schon speziell, da der Block der Rostocker Fanszene und der Gästeblock beide auf der Südtribüne liegen. Nur ein Pufferblock trennt also die verschiedenen Szenen. So wurden beiderseitig schon einige verbale Nettigkeiten ausgetauscht, bevor das Spiel losging. Gerade im ersten Teil der Halbzeit ging die Stimmungshoheit an Hansa. Es wurde schon ziemlich laut und es war schwer im Gästeblock dagegen anzusingen. Ich wunderte mich auch wieder wie Leute um mich herum, teilweise wirklich nicht alles geben. Wie kann man bei so einem Spiel nicht alles geben? Ich werde es nie begreifen. Circa in der Mitte der ersten Halbzeit gingen dann immer wieder einzelne Fackeln an, was die Stimmung bei uns im Block spürbar verbesserte.
Die zweite Halbzeit wurde dann durch eine massive Pyroshow eingeleitet, was den Block vollends zum Ausrasten brachte. Anscheinend flogen schon hier die ersten Leuchtspuren in Richtung der Rostocker, was natürlich nicht zu rechtfertigen ist. In der Folge waren wir stimmungstechnisch mindestens gleichauf. In der 75. Minute zog Rostock dann eine große Blockfahne über ihren Block und was ich vorher schon befürchtet hatte, wurde spätestens klar, als ein Spruchband in unsere Richtung gezeigt wurde: „Kein Angriff aus Hansafans bleibt ungesühnt“. Dann tauchten zahlreiche vermummte Molukken mit unserer Ostkurven Fahne auf. Ein unfassbar bitterer Moment, denn natürlich hat diese Fahne für jeden in der Szene eine irre Bedeutung. Dennoch sollte daran erinnert werden, dass die Fahne nicht fair nach einem Spiel gezockt wurde, sondern durch einen hoch professionellen Einbruch im Olympiastadion entwendet wurde. In Rostock scheint das allerdings mit der Ultramentalität vereinbar zu sein. Mein Verständnis der Kultur ist es nicht.
Die pöbelnden Hansel brauchten dann Ewigkeiten, bis sie es geschafft hatten, die Fahne in Brand zu setzen. Auf beiden Seiten war dann unglaublich viel reflexhaftes Verhalten dabei. Die Hansas führten minutenlange Affengebärden aus, während aus unserem Block eine Leuchtspur nach der Nächsten in Richtung der Rostocker flog. Außerdem gab es einige Versuche aus dem Block zu gelangen, was bei der polizeilichen Übermacht vor vornerein zum Scheitern verurteilt war und eher in die Schublade „Wir zeigen wenigstens, dass wir es probiert haben“ gehörte. Irgendwie alles eher uncool. Eigentlich war jedem klar, dass die Fahne weg war und dass da nichts zu holen ist. Ich war ganz froh, dass von den Rostockern nur eine Fackel in unsere Richtung flog. Diese schlug dann aber auch prompt nur etwa zwei Meter von mir entfernt ein.
Ich fühlte mich in diesen Minuten ähnlich wie damals in Düsseldorf. Man ist einfach nur ernüchtert und hilflos. Ich hasste die ARD dafür, dass sie ausgerechnet uns als Livespiel ausgewählt hatte und sah vor meinem inneren Auge schon die Dynamik der nächsten Tage ablaufen. Irgendwann war es dann beendet und Hertha betrat als erste Mannschaft wieder den Rasen. Wir hängten die Fahnen ab und verfolgten den Rest des Spiels schweigend und auch bei Rostock war spürbar die Luft raus. Kurz nach dem der Schiri das Spiel wieder anpfiff flogen noch einmal drei Leuchtspuren aus unserem Block auf den Rasen, was wirklich selten dämlich war. Welchen Sinn hat in so einer Situation ein Spielabbruch? Gott sei Dank, blieb der Schiri cool und die Mannschaft konnte das Spiel wenigstens noch gewinnen, was eine Riesenerlösung war. Einige der Spieler kamen sogar noch in Richtung des Gästeblocks, was mich sehr positiv überraschte. Lasst uns weiter zusammenstehen in den nächsten Wochen und Monaten!
Ich verließ zügig den Block, um vielleicht noch vor einer Blocksperre aus dem Stadion zu kommen. Natürlich ohne Erfolg, denn alle Tore waren geschlossen und Hunderte martialische Polizisten sicherten alle Ausgänge. Ich näherte mich einem der Krieger und er gab mir den Tipp möglichst lange in der „Sicherheitszone“ zu verbleiben und dann auf Kulanz der Kollegen zu hoffen. Eine Bombenstrategie. So verging eine halbe Stunde, die durch regelmäßige Ansagen der Polizeidame aufgelockert wurde. Die Stichworte waren: Warten, Ihre Sicherheit und noch mehr warten. Als alle Leute aus unserem Block auf dem Vorplatz angelangt waren, witterte ich meine Chance und sprach mit dem Ordnungsdienst. Als ich verlauten ließ, dass ich in Rostock schlafen würde, war seine Reaktion treffend: „Ach du Scheiße.“ So fühlte ich mich mittlerweile auch. Er sah dann aber auch ein, dass meine beste Chance lebend herauszukommen ein unauffälliges zügiges Verlassen des Stadions war. So schloss er mir tatsächlich das Tor auf ich war im menschenleeren neutralen Bereich des Stadions abgekommen.
Ich hatte mein Szeneshirt zwar auf links gedreht und wiederrum den Pullover zugezogen, aber als ich einen noch offenen Fanstand sah, ging ich auf Nummer sicher und investierte fünf Euro in meine Chance auf körperliche Unversehrtheit und kaufte mir einen Hansa Stoffbeutel. Auf der gegenüberliegenden Seite schloss mir dann ein Ordner erneut die Tür auf und ich war auf der harten Straße angelangt. Zügigen Schrittes und mit pochendem Herzen ging ich in Richtung Unterkunft. Dabei drehte ich regelmäßig meinen Hansabeutel in alle Richtungen, um keine Zweifel aufkommen zu lassen. Als ich die Tür unserer Wohnung zuzog, war ich einfach nur erleichtert und schloss gründlich hinter mir ab. Noch die halbe Nacht begleitete uns allerdings das Kriegsgeheul der Hubschrauber über uns. Schon alles etwas krank.
Vielen Dank an den Ordner, der Einsicht hatte. Ich will mir nicht ausmalen, wie der Abend weiterverlaufen wäre, wenn ich im Kessel zum Bahnhof hätte laufen müssen. Ein bitterer Tag mit vielen Eindrücken und ich freue mich bereits auf kreislaufschonendere Spiele in der Bundesliga.