17.09.2017 TSG Hoffenheim vs Hertha BSC 1-1

Drecksstadion an der Autobahn: Sinsheim

Bundesliga

Zuschauer: 27243 (angeblich)

 

Durch allerhand Kniffe schaffte ich es den Wecker auf 04:00 zu stellen. Ein 3:55 hätte mir komplett die Kraft genommen, um diesen Tag zu bestreiten. So kam ich erstaunlich gut aus dem Bett und konnte mich einmal mehr davon überzeugen, dass die Morgenstund‘ Gold im Mund hat. Es war weit und breit niemand auf den Straßen und endlich gehörte mir als Fahrradfahrer mal die Welt. Ich fuhr zur S-Bahn-Station meines Vertrauens und von dort zum Südkreuz, wo ich mein Fahrrad abstellte und mit zwei Schlössern sicherte. Außerdem durfte ich mich erstmals persönlich von der guten Kennzeichnung des Gesichtserkennungsbereichs überzeugen. Obwohl ich im Gänsemarsch, durch den winzigen Korridor lief, braucht man schon sehr viel Vertrauen in den Staat, um zu glauben, dass dort keine Gesichtserkennung durchgeführt wird. Den Leuten ist es aber komplett egal und so wird fleißig der Bereich der Gesichtserkennung durchlaufen.

Mit dem ersten Regio des Tages ging es dann zum Hauptbahnhof und von dort mit dem ICE nach Mannheim. Dieser war nicht so voll wie erwartet und so hatte ich einen Zweier für mich alleine. Zwischen Wolfsburg und Braunschweig ging dann langsam die Sonne auf. Sonnenaufgänge sind wirklich etwas Tolles, vor allem, weil man das Gefühl hat, dass man ganz allein mit diesem Phänomen ist, während der Rest der Welt noch schläft. Ich flanierte dann durch die erste Klasse und schnappte mir eine „Süddeutsche Zeitung“ und verbrachte den Großteil der Fahrt lesend. In Mannheim angekommen entschied ich mich dann dafür den zweiten Fußballsonderzug zu nehmen und noch kurz durch Mannheim zu schlendern und etwas zu Essen zu organisieren. Dort war aber auch nicht gerade viel los und so musste ich mit einem Bäcker Vorlieb nehmen.

Am Mannheimer Bahnhof war dann Chaos, denn die Anzeigetafel funktionierte nicht. So durfte ich die Gleise ablaufen und fand dann den Zug angeschrieben. Nach wenigen Minuten verschwand dieser jedoch und es gab keine Durchsage. Da aber noch etliche Fußballfans um mich herumstanden, wartete ich ab. Mein Nebenmann zeigte mir alle zwei Minuten seine Bahnapp, die eine immer steigende Verspätung signalisierte. Plötzlich fuhr ohne Ansage und Anzeige ein Zug ein, der vermutlich schon im zweiten Weltkrieg benutzt wurde, um Truppen zu verlegen. Zögernd stieg ich ein und lief durch komplett menschenleere Abteile, bis ich die Schaffnerin erwischte. Die war aber damit beschäftigt andere Leute anzuschreien und dann fuhr der Zug auch schon los. Mit ihrem kaputten Dialekt bestätigte sie mir dann aber, dass dieser Zug mich nach Sinsheim bringen würde. Die Fahrt von Mannheim nach Sinsheim dauerte ewig, da man in jedem dreckigen Nest der Region halten musste. Jede Station brachte neue Kunden mit TSG Schal in die Bahn, die sich in einer mir unverständlichen Sprache unterhielten.

Irgendwann war Sinsheim dann erreicht, aber ein freudiges Wiedererkennen sollte sich nicht einstellen. Hoffenheim repräsentiert so viel von dem, was im Fußball schiefläuft. Ein Milliardär hat Langeweile und zwingt uns Kosmopoliten in ein verkommenes Dorf im Kraichgau zu fahren. Auch das Publikum macht einen einfach nur traurig. Vom Wohlstand verfettete Süddeutsche in bunten Outdoorjacken, die sich jetzt eben einen Hoffenheimschal umhängen und das Produkt Fußball konsumieren, so wie sie früher wahrscheinlich in die Oper gegangen sind. Dazu finden sich ein paar Dorftrottel, die sich Melodien zusammenklauen und sich Ultras auf die Fahne schreiben. Das restliche Publikum klatscht bei einem Tor und geht fünf Minuten vor Spielende, selbst wenn es Unentschieden steht. All das, macht einen so unglaublich traurig, vor allem, weil einem seine eigenen echten Gefühle schlechtgemacht vorkommen.

Bei der Kontrolle, wurden mir dann meine Kopfhörer abgenommen. Ich hätte mit dem Kabel ja jemanden erwürgen können. Diese blinde Gehorsamkeit der Deutschen, die über jedes Argument erhaben ist, ist einfach legendär. Im Block herrschte heute eine Mischung aus Müdigkeit und Apathie vor. Keiner konnte sich hier wohl wirklich die Frage beantworten, warum man hier gerade steht. Viele Karlsruher waren heute zur Unterstützung angereist, was den Gästeblock etwas voller werden ließ. Viel mehr als 1.000 Leute, werden es dennoch nicht gewesen sein. In der ersten Halbzeit, plätscherte die Stimmung so vor sich hin und nur die verbalen Grüße in Richtung Dietmar Hopp und Sandro Wagner, sorgten für einige Ausreißer. Letzterer schoss nach wenigen Minuten das 1:0 für Hoffenheim und ließ es sich später nicht nehmen noch einmal in Richtung unseres Blocks zu provozieren. Ein ganz großer Hecht.

Unfassbar nervig waren auch die ständigen Werbeeinblendungen. Alle fünf Minuten heulte entweder ein Motor auf, der die Laufleistung der Spieler präsentierte oder eine Uhr tickte mit 120 Dezibel, um die Restspielzeit anzuzeigen.

In der zweiten Halbzeit steigerten sich im Einklang die Stimmung und die Leistung der Mannschaft. Alexander Esswein, der bis dahin wieder eine furchterregende Leistung abgeliefert hatte, lief unglücklich in den Ball und konnte zufällig das Tor treffen. Das bewegte ihn zu einem unglaublichen Jubellauf, der ihn dann sogar noch vor unseren Block führte. Ach, Esswein. In der zweiten Halbzeit waren sogar noch einige Chancen da und so hätte man sogar als Sieger vom Platz gehen können. Aber ein Punkt, ist definitiv solide.

Auch zurück ging es mit dem Sonderzug nach Mannheim und dort hatte ich noch kurz Zeit, um zu Abend zu essen und mich mit Suff und Snacks für die Rückfahrt einzudecken. Der ICE war brechend voll und so hatte ich viel Glück, dass ich noch einen Platz ergatterte, während etliche Leute in den Gängen stehen mussten. Immerhin bretterte der Zug bis Südkreuz durch und hielt nur in Frankfurt und Hannover, bevor wir gegen 22.30 Berlin erreichten. Knapp 19 Stunden unterwegs für 90 Minuten Fußball in Hoffenheim. Welcher vernünftige Mensch kann so eine Entscheidung treffen? Aber genau diese Absurdität macht diese Liebe aus.

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