Estádio Jose Martins: Amadora
Segunda Liga
Zuschauer: 800
Achtung Triggerwarnung: Auch in diesem Bericht werde ich wieder tief in die Superlativkiste greifen müssen. Zu schön war dieser Freitagabend in Amadora. Aber der Reihe nach. Glücklich verließ ich an diesem Freitagnachmittag meine Wohnung und schnappte tief Luft: Die Luft schmeckte nach Freiheit und Wochenende. Ich lief zum Bahnhof Roma-Arreiro und gemeinsam mit Hunderten Pendlern bestieg ich den Zug in Richtung Sintra. Nach nur wenigen Stationen stieg ich an der Station Reboleira aus. Reboleira ist die Endstation der blauen Metrolinie und somit gut mit Lissabon verbunden. Dennoch befinden wir uns hier bereits in Amadora- verwaltungstechnisch gesehen also in einer anderen Stadt, die aufgrund der zahlreichen Hochhäuser und der recht hohen Kriminalitätsrate nicht den besten Ruf genießt. Zudem sieht Portugal hier um einiges bunter aus als in den reicheren Vororten. Vermutlich auch deswegen rümpft der eine oder andere Portugiese hier deutlich zu oft mit der Nase.
Ich lief vom Bahnhof zum Stadion und wurde direkt Zeuge einer Innovation: Als Unterstützung für die Ampeln gab es in den Boden eingearbeitete LED-Lichter, die leserschwertähnlich Lichtsignale aussendeten. Das sah schon ziemlich cool aus. Nach sieben Minuten Fußweg hatte ich das Tickethäuschen erreicht und wurde endlich mal als Einheimischer akzeptiert: Während ein Franzose neben mir einen deutlichen Aufschlag zahlen musste, erhielt ich ein Ticket für faire 6€. Nun hatte ich noch gute 75 Minuten auf der Habenseite: Genug Zeit also, um noch eine kleine Runde durch das Viertel zu drehen. Meine erste Station war eine finstere Bar in der Nähe des Stadions. Ich bestellte mein Getränk und reihte mich in eine Reihe schweigsamer Männer ein, die in ihr Glas stierten. Gerade als ich mich der Gruppe zugehörig zu fühlen begann, entbrannte eine Diskussion über die gemeinsame Zeit im Kolonialkrieg in Angola. Ganz rein passte ich da vielleicht also doch noch nicht. Also noch drei weitere Haken geschlagen und noch ein weiteres Getränk in einer freundlicheren Pastelaria genommen. Dann ging es noch einmal über die Straße und ins Stadion. Der Einlass war komplett unkompliziert und ohne jegliche Kontrolle.
Ich hatte mich beim Ticketkauf noch informiert und hatte somit einen schönen Platz auf der Haupttribüne mit gutem Blick auf die Fans vom Amadora. Auf der Hintertortribüne war jedoch nur gähnende Leere auszumachen und zunächst machten die Fans von Rio Ave auf sich aufmerksam, die lautstark in den Block einzogen. Dann knallten einige Böller und auch der Heimbereich füllte sich langsam aber sicher. Kurz zu den Gästen: Einige Gesänge nach den Toren und immer mal wieder einige Sprechchöre. War in Ordnung!
Estrela Amadora hingegen eroberte mein Herz im Sturm. Der Verein ist wirklich durch die Scheiße gegangen. 2011 gingen hier durch eine Insolvenz die Lichter aus. Einige Fans gründeten einen Nachfolgerverein, um die Tradition am Leben zu erhalten. Vor zwei Jahren gab es dann eine Fusion mit einem Verein aus Sintra und man tritt wieder unter dem alten Namen an. Für mich ein Beispiel dafür, dass Fusionen nicht immer automatisch zu kritisieren sind. Estrela Amadora ist zurück im Profifußball und das ist gut so. Einige Fragen rund um die Insolvenz sind jedoch immer noch nicht geklärt. Das Insolvenzverfahren ist immer noch anhängig und großer Streitpunkt ist die Nutzung des Stadions. Für Portugiesischsprachige empfehle ich diesen kurzen Beitrag auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=cgsOoxu_dPw
Estrela zeigte heute eindrucksvoll, was für ein Potenzial in den Blöcken der Lissaboner Vorstadt schlummert. 90 Minuten lang wurde gemeinsam am Rad gedreht. Beeindruckend fand ich wie Alt und Jung gemeinsam im Block standen und weitestgehend oberkörperfrei durchdrehten. Dazu gab es kaum Koordination, sodass der ganze Auftritt etwas unglaublich lebendiges hatte. Diese Leichtigkeit habe ich lange nicht mehr gesehen. Sicher- das war durch die Pandemie einer der ersten Auftritte überhaupt. Na klar, ist dann die Euphorie groß- aber das machte wirklich Lust auf mehr. Wenn hier ein paar Dinge funktionieren, könnte das eine richtig starke Truppe werden. Ich hätte Lust auf mehr!
Nach drei Minuten knallte Estrela einen Freistoß an die Latte und konnte mit dem Nachschuss die 1:0 Führung erzielen. Das Stadion tobte. Leider wurde Rio Ave in der Folge seiner Favoritenrolle gerecht. Estrela kam noch zwei Mal zurück, aber Rio Ave hatte immer eine Antwort und gewann am Ende nicht unverdient mit 2:5. Das tat der Stimmung überhaupt keinen Abbruch und so versicherte die Kurve nach dem Spiel „Wir gehören zusammen“.
Der einzige Mini-Schatten an diesem Abend. Erstmals war eine nennenswerte Anzahl an Hoppern im Stadion. Welche ehrenlosen Menschen kleben in einem so altehrwürdigen Stadion Aufkleber? Richtig: Die Waldmenschen. Auf dem Weg zum Bahnhof sichtete ich den Helden dann noch. Aber was soll’s. Ich pfiff lieber die Melodien von Estrela Amadora und auf dumme Menschen.





