1. Bundesliga
Zuschauer: 25.789
Puppenkiste: Augsburg
Wahnsinnige 911 Tage lagen für mich zwischen meinem letzten „richtigen“ Hertha Spiel und meinem Comeback im Stadion unter normalen Bedingungen. Es herrschte ein Gefühlschaos in mir, das sich nur schwer in Worte fassen lässt. Aber probieren wir es doch einfach Mal!
Den eigentlichen Restart im April 2022 hatte ich ziemlich kläglich vor dem Laptopbildschirm verbracht. Gefühlt waren es mehr als die 7.800 Kilometer Luftlinie, die mich vom Spielort der Partie trennten. Eine sehr undurchlässige Grenze und ein komplett anderes Umfeld hinterließen bei mir das Gefühl einer noch größeren Distanz. Und doch zelebrierte ich an diesem Tag in Hertha-Sachen passenderweise auf der Chinesischen Mauer („Berliner haben noch jede Mauer überwunden“ und so!) die Rückkehr in die Stadien. An diesem Tag ohne mich- aber ich wusste auch meine Rückkehr in die Stadien wird erfolgen.
An diesem 02.09.2022 war es nun endlich so weit. Ich war gerade knappe 48 Stunden im Land und durch den gänzlich unterschiedlichen Umgang mit der Corona-Pandemie war der Reverse-Kulturschock noch ziemlich ausgeprägt. Groß war bei mir die Angst, dass die doch erhebliche Angst vor der Infektion und die damit verbundenen möglichen Schwierigkeiten für die Rückreise nach China dazu führen würden, dass ich den Stadionaufenthalt nicht so unbeschwert gestalten könnte, wie ich es mir wünschte. Gleichzeitig war ich wild entschlossen mich dem Risiko auszusetzen, um diese Momente erleben zu können. Gemeinsam mit dem Klabauterkeaper im Auto näherten wir uns zur Mittagszeit Augsburg. Der geplante Stopp in der Unterkunft wurde aufgrund von Zeitmangel kurzfristig gestrichen und so steuerte ich direkt das Stadion an.
Entweder täuschte mich meine Erinnerung oder das nahegelegene Feld, was ich in der Vergangenheit als Parkplatz missbraucht hatte, wurde mittlerweile zugebaut. Mit einem nahegelegenen Firmenparkplatz mit heruntergelassener Schranke fand sich jedoch schnell eine passende Alternative. Meine Liebe zum Risiko war sowieso ausgeprägt, aber nach einer kurzen Interaktion mit einem Einheimischen, reifte die Gewissheit, dass genau diese kostenlose Parkmöglichkeit die richtige Entscheidung war.
Die wenigen Minuten zum Stadion legte ich sodann zu Fuß zurück und konnte durch einen schnellen Schritt noch eine kleinere Gruppe Herthaner einholen, die vom Bahnhof kam. So gab es schon die ersten Hallos und gemeinsam fanden wir den Weg auf den Gästeparkplatz. Dort waren Teile der aktiven Fanszene schon eingetroffen und so gab es weitere freudige Wiedersehen. Das Gefühl wieder dazu sein, war verrückt. Für mich ein wahnsinnig besonderer Moment, während für die anderen ein Auswärtsspiel in Augsburg schon fast wieder Routine war. Für mich war es wie ein Nachhausekommen und es fühlte sich so an als wäre das Leben auf diesem hässlichen Gästeparkplatz mit diesen Leuten, so wie es eben sein sollte.
Naja, nicht ganz! Der Gästeparkplatz sollte dann länger als geplant mein Verweilort bleiben. Schnell erreichte uns die Kunde, dass die Harlekins Berlin, die aufgrund ihrer Geburtstagsfeier später auf dem Parkplatz eintreffen sollten, in eine Polizeikontrolle geraten waren. Unser Panoramaplatz auf dem Parkplatz bat neben einem tollen Blick auf die Bundesstraße auch eine pittoreske Perspektive auf ein Maisfeld. Am Ende dieses Maisfeldes sah man die leuchtenden Polizeisirenen. Ach schön, war es doch wieder in Deutschland zu sein. Geschenkt, dass der Grund für die Polizeikontrolle weit in das Reich der Fantasie einzuordnen ist. Tolle Gespräche und einige großartige Weisheiten schenkte die Staatsmacht noch dazu. Dazu noch ein beschädigtes Auto- vielen Dank an den Freistaat Bayern!
Auf dem Parkplatz wurde der Abpfiff frühzeitig schon fast abgehakt. Mit dem Eintreffen der Harlekins um kurz nach 3 keimte bei mir doch noch ein bisschen Hoffnung auf. Pustekuchen: Die Personenkontrolle war bei mir okay, aber die Materialkontrolle war einfach komplett unsinnig, lächerlich und vor allem langwierig. So betraten wir mit circa drei Minuten Verspätung den Gästeblock und hatten wie zu erwarten in den ersten Momenten vor allem mit unserer Positionierung zu kämpfen. Starrsinnigkeit und daraus resultierende Wortgefechte prägten die ersten Minuten im Block. Irgendwann hatten wir uns dann sortiert, geschüttelt und es erfolgreich überstanden. Aber hey- hätte es ein repräsentativeres Comeback geben können?
Meine Sorgen im Vorfeld waren unbegründet. Ich erklärte es mir im Nachhinein mit einem Phänomen wie „Muscle Memory“. Mit Blick auf Restaurantbesuche, Supermarktbesuche, etc. hatte ich Erinnerungen an das Tragen von Masken und Abstände. Daher fühlt es sich im ersten Moment komisch an, wenn man davon abweicht. Zwar war ich auch während der Corona-Pandemie oft im Stadion, aber eine wirklich Erinnerung an die Kurve in Coronazeiten hatte ich nicht. Daher fiel es mir leicht mich gehen zu lassen und einfach dieses wunderbare Erlebnis im Gästeblock zu genießen. Was für ein Gefühl war es wieder gemeinsam mit den Leuten die Liebe des Lebens zu besingen. Für mich war es alles auch eine Art Überfluss der Emotionen. Von daher, bin ich mit Blick auf die Stimmung sicherlich nicht gerade objektiv. Ich fand es aber das gesamte Spiel über einen wirklich guten Auftritt. Große Teile des Blocks unterstützen die Mannschaft nach Kräften und für die Anstoßzeit auf den Sonntag fand ich auch die Zahl mit etwa 1.500 Herthanern zumindest nicht beschämend.
Aufgrund der verspäteten Ankunft in den Block, mussten die zwei Teile der geplanten optischen Aktion zu Beginn der zweiten Halbzeit durchgeführt werden. Mit der Choreo wurde der Erhalt der traditionellen Eintrittskarte gefordert. Zunächst wurde durch schwarze Pappen ein düsteres Bild erzeugt. Dazu gab es die typischen Symbole für das Print @ Home Ticket- unter anderem einen Drucker und einen QR-Code. Im zweiten Teil der Aktion wurde dann durch blaue Pappen und sieben nachgezeichnete Orginaleintrittskarten gezeigt welchen Wert traditionelle Eintrittskarten besitzen. Eine gelungene Aktion.
Die Depressionsrate unter Groundhoppern, die weinend ihre Eintrittskartensammlung durchblättern, steigt durch die Print@Home Tickets sicher in das Unermessliche. Das kann doch niemand wollen. Mich ärgert es wirklich wie viel Energie wir jetzt wieder in so etwas stecken müssen. Gefühlt muss man immer dafür kämpfen die gelungenen Aspekte der Gegenwart zu erhalten. Wie viel schöner wäre es doch, wenn man diese Energie für das Erkämpfen neuer Freiheiten verwenden könnte.
Nachdem die erste Halbzeit noch relativ ausgeglichen war, lief in der zweiten Halbzeit alles wie am Schnürchen. Nach einer Flanke von Platte, köpfte Dodi souverän ein. In der Folge hatte Hertha das Spiel im Griff und konnte in der Nachspielzeit den entscheidenden Konter laufen. Davie Selke machte das überraschenderweise richtig clever und behielt die Übersicht in dem er Marco Richter mehr schlecht als recht bediente. Dieser machte das extrem lässig und schob zum 0:2 ein. Bereits nach dem Führungstreffer hatte der Block noch einmal eine Schippe draufgepackt und nun hallten die Lieder für den Rest der Spielzeit nur so durch den Block.
Die Fanszene des FC Augsburg nahm ich nur optisch wahr. Akustisch konnte ich das gesamte Spiel nichts vernehmen und die Beteiligung blieb weitestgehend auf den Bereich um die Legio Augusta beschränkt.
Nach dem Spiel feierten wir noch ausgiebig die Mannschaft, bevor wir dann noch einige Grüße an die Schwaben herausschickten. An der Gepäckausgabe traf ich dann den Klabauterkeaper und Na., die sich ähnlich wie ich über die drei Punkte freuten. Gemeinsam ging es zum Auto, das sich strafzettelfrei und bester Gesundheit erfreute. Nach etwas stockenden Verkehr aufgrund einer unglücklichen Ampelschaltung, starteten wir durch und fuhren in Richtung Augsburger Innenstadt.
Wir steuerten ein Wohngebiet an, um einen Parkplatz zu finden und waren etwas überrascht ob des regen Fußgängerverkehrs. Durch ein Gespräch fanden wir heraus, dass in der Nähe der „Plärrer“ stattfinden würde. Laut eigenen Angaben handelte es sich hierbei um das größte Volksfest Schwabens. Interessant, dass der Canstatter Wasen da anscheinend nicht dazugezählt wird.
Wir fanden dennoch einen Parkplatz und machten uns auf die Suche nach einem Restaurant. Im zweiten Anlauf wurden wir im Innenraum eines düster aussehenden türkischen Restaurant fündig. Für die Veggies unter uns war die Auswahl nicht ganz einfach, aber ich war durch meine Köfte schnell im siebten Essenshimmel angekommen. Bei gutem Speis und Trank quatschten wir über das vergangene Jahr, Erlebnisse in Istanbul und Peking und tauschten Gedanken rund um den Fußball aus. Es war ein Fest!
Viel zu früh, drängelte dann schon wieder der abfahrende Zug von Na. Dieser hatte mit dem Auswärtsspiel des KSC in Hamburg und einer durchgemachten Nacht, auch schon ein anderes Pensum in den Beinen als wir. Respekt dafür! Vor dem Bahnhof trennten sich dann die Wege und mit dem Klabauterkeaper bezog ich unser Nachtquartier. Was für ein schönes Comeback. Was für ein wichtiger Auswärtssieg!

